Maria Wunder
Dauerstudium: Musik
Ist es wirklich so seltsam, so viel Zeit in seine Ausbildung zu investieren?

Ich bin mir nicht sicher, wie es anderen Musikern ergeht, aber ich hatte neulich ein gutes Gespräch mit einem Kommilitonen, wo es darum ging, dass es oft doch eher wenig Verständnis für die Ausbildung zum Berufsmusiker gibt.
Ich studiere seit dem Herbstsemester 2011 und bin somit seit 16 Semestern an der Musikhochschule in Mannheim immatrikuliert. Auf den ersten Blick, muss ich zugeben, sieht das so aus, als würde ich einfach „dauerstudieren“. Für manche Augen ist es nicht verständlich, dass jemand so eine lange Zeit mit dem Studium verbringt und gefühlt nicht arbeitet. Auch in anderen Studiengängen kann man gefühlt eine Ewigkeit an Universitäten und Hochschulen studieren. Für Jura oder Medizin, zum Beispiel, findet sich hierfür aber oft ein größeres Verständnis.
Ganz abgesehen von den vielen Semestern, die bisher für mein Musikstudium drauf gegangen sind, muss ich mich schon alleine oft für den Studiengang überhaupt rechtfertigen. Vielen Personen ist es nicht ersichtlich, was man nach so einem Studium überhaupt macht - schließlich lernt man nur ein Instrument. Häufige Frage übrigens: „Wie, du spielst dann nur EIN Instrument, nicht mehrere?“ Scheinbar ist es für den Nicht-Musiker nur schwer begreiflich, dieses Berufsfeld nachzuvollziehen.
Wie bereits gesagt studiere ich seit dem Jahr 2011, habe seither drei Bachelor und einen Master absolviert. Seit dem Schuljahr 2013 arbeite ich, zu Beginn geringfügig - mittlerweile zum Großteil, als Pädagogin an Musikschulen und gebe diverse Konzerte. Ich lebe für die Musik - egal ob beim Unterrichten als beim Musizieren. Meine Arbeit ist eine Bereicherung für mich und viele andere Menschen. Und zudem gibt sie mir die Möglichkeit, mich stets weiterzuentwickeln und neue, interessante Menschen kennen zu lernen. Durch meinen Beruf habe ich immer noch zeitlich die Möglichkeit, mich weiterzubilden. Zwar habe ich diesen Sommer meinen vierten Abschluss gemacht, doch schließe ich nicht aus, dass ich mein Studium beende. Ich bin neugierig und möchte mich stets weiterbilden - bloß nicht still stehen.
Ich habe im Freundeskreis viele Nicht-Musiker. Glücklicherweise kann der Großteil nachvollziehen, wie ich mein Leben lebe. Trotzdem kommt es hin und wieder zu fragen auf: „Wie, du studierst jetzt noch länger? Willst du nicht irgendwann auch mal nur arbeiten?“ Klar, irgendwann möchte ich mal „nur“ arbeiten. Aber solange ich die Möglichkeit habe, durch das Studium mehr zu lernen, nutze ich diese. Es schadet mir ja schließlich nicht. Natürlich bin ich mir bewusst, dass sich die Zeiten irgendwann ändern werden, aber ich bin mir sicher, dass ich diesen Moment nicht verpassen werde.
Ich verfasse diesen Eintrag nicht, weil ich mich rechtfertigen möchte. Ja, es nervt mich, immer wieder erklären zu müssen, warum ich nur eine halbe Arbeitsstelle habe und Dauerstudent bin. Ich möchte mit diesem Beitrag versuchen, das Sichtfeld für Alle etwas zu weiten. Außerdem möchte ich Personen ermutigen, die eben in meiner Situation sind, weiter zu machen und nicht aufzugeben. Der Bereich Musik ist großflächig, aber auch ein extrem harter Knochen. Selbst gute Anstellungen an städtischen Musikschulen sind rar, ganz abgesehen von Orchesterstellen. Viele müssen, manche wollen, als Freiberufler unterwegs sein - was einem viel Flexibilität gibt, aber natürlich auch hin und wieder Unsicherheiten mit sich zieht. In den letzten zwei Jahren habe ich sehr mit mir gekämpft, ob ich diesen Weg überhaupt noch länger gehen möchte. Zwischenzeitlich habe ich sogar in einer ganz anderen Branche gearbeitet und überlegt, alles hinzuschmeißen. Letztendlich stehe ich nun aber doch wieder hier und sage mir täglich, dass ich meinen Weg gehen werde!
Jeder Mensch sollte sein Leben akzeptieren können, nicht automatisch akzeptieren - manchmal muss man auch hart arbeiten, um später seinem eigenen Weg die gewisse Akzeptanz zu geben. Ich akzeptiere jedoch mein Leben, was ich lange Zeit nicht gemacht habe. Sehr lange hab ich mein Leben für schlecht erklärt, teilweise habe ich es gehasst und mich als Person in Frage gestellt. Ich habe mich geschämt, wieviel Zeit ich in meinen Augen verschwendet habe, mit Dingen, die mir scheinbar nichts gebracht haben. Selbstzweifel standen bei mir lange Zeit an erster Stelle und sind immer noch ein großer Teil meines Alltags. Aber jetzt weiß ich, dass ich dagegen aktiv vorgehen kann und mich nicht für mein Leben zu schämen brauche.
Wichtig im Leben ist, dass man sich Ziele setzt. Diese sollten klar formuliert sein. Ich schreibe mir meine Ziele gerne auf, sowohl langfristige, als auch kurzfristige. Hierfür nutze ich meinen Kalender, den ich ganz individuell gestalte. Er ist fast schon wie ein Tagebuch für mich. Er gibt meinem stressigen Alltag Struktur und lässt mich die wichtigen Dingen nicht aus den Augen verlieren. Diesen Kalender gestalte und fülle ich von Hand. Das ist ein beruhigendes Ritual, um einfach mal abzuschalten!
Also, ist es nun wirklich so seltsam, so viel Zeit in seine musikalische Ausbildung zu investieren? Ist es verschwendete Zeit, an Zielen festzuhalten, die manchmal auch als unerreichbar erscheinen? Ich denke, solange nichts zu kurz kommt und man irgendwoher ausreichend Kraft aufbringen kann, sollte man immer weitermachen. Ganz abgesehen davon, sollte man nie aufhören, an seine Ziele zu glauben und alles dafür zu geben, um diese zu erreichen. Die Schwierigkeit dabei ist es, abzuwägen, ab wann man selbst aufgrund der Zielverfolgung zu kurz kommt. Für mich ist es sehr wichtig Prioritäten zu setzen. Diese setze ich schon bei meinen kleinsten Entscheidungen. Generell bin ich ein eher durchdachter Mensch, manchmal wäre ich gern etwas spontaner. Jedoch brauche ich eine gewisse Struktur, um Ruhe zu bewahren.
Ich weiß nicht, in welchen anderen Berufsfeldern man noch so flexibel arbeiten und gleichzeitig studieren kann. Ich studiere nicht, um Abschlüsse zu sammeln. Nur finde ich Musik einfach inspirierend und bin fasziniert von den Unmengen an Anregungen, die man während eines Studiums durch die verschiedensten Menschen bekommt.
Tatsächlich ist mir aber die passende (und kompakte) Antwort auf die Frage „Und was machst du jetzt nach deinem Abschluss?“ immer noch nicht gekommen. Wer einen Tipp hat, kann sich gerne bei mir melden!